Zumutbarer Schulweg und Anspruch auf Vergütung von Transportkosten

von Dr. David Hofstetter

1. Ausgangslage

Aus der Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichts nach Art. 19 BV kann sich ein Anspruch auf Übernahme der Transportkosten ergeben, wenn einem Schulpflichtigen der Schulweg wegen übermässiger Länge oder Gefährlichkeit nicht zugemutet werden kann.

In den Kantonen hat sich im Bereich der Beurteilung der Zumutbarkeit des Schulwegs eine reichhaltige Praxis entwickelt. Ein aktueller Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau zeigt einige Leitlinien der Praxis aus dem Kanton Aargau insbesondere mit Blick auf eine ausreichend lange Mittagspause auf. Diese werden nachfolgend dargestellt.

 

2. Urteil WKL.2021.18 vom 26. August 2022

In einem Urteil vom 26. August 2022 (WKL.2021.18) hatte sich das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit dem Anspruch einer Schülerin auf Transportkostenersatz zu befassen. Geltend gemacht wurde seitens der Schülerin, einer Primarschülerin der vierten Klasse, dass ihr Schulweg aufgrund seiner Distanz und im Hinblick auf den Zeitaufwand als unzumutbar qualifiziert werden müsse. In der Folge machte die Schülerin Ansprüche auf Ersatz von Kosten für das Bus-Abonnement geltend bzw. Ersatz der Kosten für den Transport mit dem privaten Fahrzeug durch die Eltern.

Im Streit stand ein Schulweg von rund 2.5 Leistungskilometern. Dieser Weg hätte an denjenigen Tagen, an denen auch am Nachmittag Schulunterricht stattfindet (drei Tage pro Woche), vier Mal pro Tag zu Fuss zurückgelegt werden müssen, weil die Schülerin ihre Mittagspause jeweils zu Hause verbringt.

Das Verwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass der konkrete Schulweg aufgrund seiner Länge und der Steigung grundsätzlich für eine Schülerin der vierten Primarschulklasse als zumutbar zu qualifizieren ist. Fraglich und zu prüfen war jedoch, ob die Schülerin in den Genuss einer ausreichend langen Mittagspause kommt, wenn sie am Mittag nach dem Unterricht und am Nachmittag vor Beginn des Unterrichts den Weg zu Fuss zurücklegt. Das Verwaltungsgericht prüft hierfür zunächst die öffentlichen Busverbindungen. Es kommt zum Schluss, dass aufgrund der verfügbaren Busverbindungen das Problem der zu kurzen Mittagspause nicht gelöst werden kann. Aus diesem Grund gesteht das Verwaltungsgericht der Schülerin zu, dass sie nach der Mittagspause von ihrer Mutter in die Schule gefahren werden darf, unter Entschädigungsfolge zulasten der Gemeinde als Trägerin der Volksschule. Den Weg von der Schule vor der Mittagspause nach Hause muss die Schülerin jedoch weiterhin zu Fuss bewältigen.

 

3. Grundsätze zur Zumutbarkeit des Schulwegs

Die Rechtsprechung nimmt bei der Prüfung der Zumutbarkeit des Schulwegs auf das Alter der betroffenen Schulpflichtigen Rücksicht. Bei Kindergartenkindern sind die Anforderungen an die Zumutbarkeit andere als bei einem schulpflichtigen Kind der Mittelstufe. Während bei Kindergartenkindern oftmals gefährliche Passagen wie dicht befahrene Strassen, die es zu kreuzen gilt, im Fokus stehen, geht es bei älteren Schulpflichtigen in der Regel um die Länge des Schulwegs und damit im Zusammenhang stehend die Frage, ob ein Heimkehren über Mittag möglich ist.

In allgemeiner Weise ist der Schulweg auf seine Länge, die zu überwindende Höhendifferenz, die Beschaffenheit des Weges und die damit verbundenen Gefahren sowie das Alter und die Konstitution des betroffenen Kindes hin zu prüfen (Verwaltungsgericht Zürich, Urteil VB.2021.00698, E. 2.2).

In seiner jüngsten Rechtsprechung stellt das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau betreffend die Zumutbarkeit von Schulwegen vermehrt auf den konkreten Zeitaufwand anstatt auf die Anzahl Leistungskilometer ab. Bei der Berechnung des Zeitaufwands wird bei Schulkindern ab der Mittelstufe eine Gehgeschwindigkeit von 4 bis 4.5 km/h angenommen (Urteil WKL.2021.18, E. 4). Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts geht weiter davon aus, dass Schulkinder über den Mittag effektiv 40 Minuten zu Hause zur Verfügung haben sollen (Urteil WKL.2021.18, E. 5.3 m.w.H.). Angesichts der Tatsache, dass der Unterricht auf der Primarschulstufe in der Regel kurz vor 12:00 Uhr endet und um 13:30 Uhr wieder beginnt, sind Schulwege von rund 30 Minuten pro Weg aufgrund der zeitlichen Dimension der Mittagspause (nicht aber aufgrund der Länge) somit nicht zumutbar.

Ungeklärt bleibt bei dieser Rechtsprechung meines Erachtens ein Aspekt, den das Verwaltungsgericht im vorzitierten Urteil nicht angesprochen hat und der auch in vergleichbaren Urteilen soweit ersichtlich nicht diskutiert wird. Es ist gerade in ländlichen Gegenden, aber nicht nur dort, nicht unüblich, dass der Schulweg von Primarschülern zumindest ab der Mittelstufe mit dem Fahrrad zurückgelegt wird. Die Wegzeiten verkürzen sich dadurch erheblich. Es wäre im Einzelfall somit zumindest zu prüfen, ob der Schulweg mit einem Fahrrad zurückgelegt werden kann, sofern nicht anderweitige Gründe wie etwa die Gefährlichkeit des Weges dagegensprechen. Mit dem Einsatz eines Fahrrads könnte sich die Problematik der zu kurzen Mittagspause weitgehend beseitigen lassen.

 

4. Ansprüche bei Unzumutbarkeit des Schulwegs

Ist der Schulweg für einen Schulpflichtigen unzumutbar, so fliesst sich aus dem Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht nach Art. 19 BV ein Anspruch gegenüber dem Schulträger, für die Gewährleistung einer sicheren, zuverlässigen und zeitgerechten Beförderung zur Schule zu sorgen. Seiner Beförderungspflicht kann der Schulträger etwa dadurch genügen, dass er den Schulpflichtigen die Billettkosten für die öffentlichen Verkehrsmittel erstattet oder einen Schulbus- oder Schultaxidienst einrichtet. Dem Schulträger steht es aber auch zu, die Erziehungsberechtigten zur Besorgung des Schultransports ihrer Kinder heranzuziehen, soweit ihnen der Transport möglich und zumutbar ist und die Kosten erstattet werden (BGE 140 I 153, E. 2.3.3).

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass der Schulträger den Besuch eines schulseitig organisierten Mittagstisches mit dem Angebot einer angemessenen Mittagsverpflegung und entsprechender Beaufsichtigung der Schülerinnen und Schüler zur Verfügung stellt. Die Teilnahme an einem solchen Angebot gilt als zumutbar und entbindet den Schulträger davon, für einen Schultransport auch am Mittag besorgt zu sein (BGer Urteil 2C_433/2011, E. 4.3).

Im Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau wurde der Schülerin ein Transportkostenersatz zugesprochen, indem ihr erlaubt wurde, dass sie von ihrer Mutter jeweils an denjenigen drei Tagen, an denen am Nachmittag Unterricht stattfindet, nach der Mittagspause auf Kosten des Schulträgers zur Schule gefahren wird. Der Ansatz für die Entschädigung pro Kilometer wurde auf CHF 0.70 festgesetzt. Es ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Entschädigung für von den Eltern geleisteten Schultransport nicht um eine Schadloshaltung im Sinne eines Erwerbsersatzes handelt. Vielmehr hat die Entschädigung den Charakter einer Fahrspesenentschädigung (BGer Urteil 2C_433/2011, E. 5.1).

 

5. Fazit

In seiner neueren Rechtsprechung stellt das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Schulwegs weniger auf die vom Schulpflichtigen zu absolvierenden Leistungskilometer ab, sondern auf den konkreten Zeitaufwand für den Schulweg. Dem Schulpflichtigen soll eine Mittagspause zu Hause von wenigstens 40 Minuten zur Verfügung stehen. Ist dies aufgrund des Zeitaufwands für den Schulweg nicht möglich, so entsteht ein Anspruch gegenüber dem Schulträger auf Ersatz der Kosten für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel oder – sofern keine öffentlichen Verkehrsmittel verfügbar sind – auf Ersatz der Transportkosten für die privaten Fahrten der Eltern. Alternativ kann der Schulträger auch einen Mittagstisch anbieten.