Meinungsäusserungsfreiheit und Treuepflicht im öffentlichen Dienst
von Dr. David Hofstetter
1. Sachverhalt
Mit Datum vom 30. November 2022 (WKL.2021.19) hat das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau ein interessantes Urteil gefällt, das sich mit dem Spannungsfeld zwischen der Treuepflicht und der Meinungsäusserungsfreiheit von öffentlich-rechtlichen Angestellten auseinandersetzt.
Im Streit lag die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Lehrperson mit gleichzeitiger Freistellung an einer kantonalen Schule. Die Kündigung wurde damit begründet, dass die betroffene Lehrperson sich im Zusammenhang mit Vorschriften und Massnahmen rund um die Corona-Pandemie unprofessionell verhalten habe. Im Kern wurde der Lehrperson vorgehalten, dass sie im Rahmen von Veranstaltungen von Massnahmengegnern öffentlich aufgetreten ist und sich dort abschätzig über demokratisch gewählte Behördenmitglieder geäussert habe. Zudem habe sie Gesetzesbrecher als Vorbilder bezeichnet. Weiter habe die Lehrperson bei ihren öffentlichen Auftritten eine Vermischung ihrer beruflichen Funktion und ihres Privatlebens in Kauf genommen. Das Anstellungsverhältnis wurde wegen Mängeln im Verhalten ordentlich gekündigt.
Das Verwaltungsgericht hatte in seinem Urteil vom 30. November 2022 darüber zu befinden, ob die Kündigung des Anstellungsverhältnisses rechtmässig erfolgt ist. Es kommt zum Schluss, dass die kantonale Schule rechtmässig gehandelt hat.
2. Erwägungen des Verwaltungsgerichts
Zum einen hat sich das Verwaltungsgericht mit dem Wesen und der Funktion der Mahnung auseinandergesetzt. Nach dem in der Sache anwendbaren § 11 Abs. 1 lit. c des Gesetzes über die Anstellung von Lehrpersonen (GAL) hat einer Kündigung wegen Mängeln im Verhalten eine schriftliche Mahnung mit Ansetzen einer Bewährungszeit voranzugehen. Laut Verwaltungsgericht ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass die angestellte Person aus der Mahnung ersehen können muss, inwiefern ihre bisherigen Leistungen mangelhaft waren und welche Verhaltensweisen nicht mehr toleriert werden. Daraus wiederum muss hervorgehen, welche Leistungen von ihr erwartet werden und wie sie sich künftig zu verhalten hat, damit sie das Risiko einer Kündigung abwenden kann (sog. Warn- und Rügefunktion der Mahnung). Dies bedingt, dass mittels Mahnung konkrete Rügen erhoben werden, ein damit zusammenhängendes konkretes Verhalten der angestellten Person gefordert und diese auf die Folgen allfälliger künftiger Mängel im Verhalten – die in Widerspruch zum Geforderten stehen – hingewiesen wird. Die Mahnung erfüllt ihre Rügefunktion nur dann, wenn die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber der angestellten Person die Mängel im Verhalten nicht nur summarisch aufzeigt, sondern detailliert mitteilt und die Mängel durch Verweis auf bestimmte Vorkommnisse belegen kann. Zur Verwirklichung der Mahnfunktion verlangt der Grundsatz von Treu und Glauben neben klaren Hinweisen, wie sich die angestellte Person künftig zu verhalten hat, zumindest konkludent die Androhung der ordentlichen Kündigung für den Fall der Nichtbeachtung der Mahnung (E. 2.5.1).
Das Verwaltungsgericht kommt in seinem Urteil zum Schluss, dass die gegenüber der Lehrperson ausgesprochene Mahnung zwar nicht in allen Einzelheiten den Anforderungen zu genügen vermochte, wie sie Lehre und Rechtsprechung entwickelt haben. Gesamthaft sei sie jedoch als rechtsgenüglich zu beurteilen, wobei das Verwaltungsgericht auch in Betracht gezogen hat, dass die Lehrperson «sich des Ärgers bewusst» gewesen sei, die sie mit ihrem Verhalten ausgelöst habe, und auch kein Wille zur Verbesserung bestanden habe. Unter diesen Umständen sei die ausgesprochene Mahnung insgesamt nicht zu beanstanden.
Begründet wurde die Kündigung in der Sache seitens der Schule mit Verletzungen der Treuepflicht durch die betroffene Lehrperson. Die Treuepflicht der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst enthält verschiedene Aspekte und bedeutet insbesondere, alles zu unterlassen, was der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber schaden könnte. Dazu gehört beispielsweise, die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber in der Öffentlichkeit nicht zu diffamieren. Die eigenen berechtigten Interessen der angestellten Person stellen die Grenzen der Treuepflicht dar (E. 3.1).
Die Treuepflicht kann insbesondere in einem Spannungsverhältnis zur Meinungsäusserungsfreiheit des betreffenden Angestellten stehen. Gegenüber öffentlich-rechtlichen Angestellten kann die Meinungsäusserungsfreiheit durch die Treuepflicht eingeschränkt werden, die sich auch auf ausserdienstliches Verhalten erstreckt. Treuepflicht bedeutet in dieser Hinsicht, dass die öffentlich-rechtlich angestellte Person bei der Erfüllung ihrer Aufgabe über die eigentliche Arbeitsleistung hinaus die Interessen des Gemeinwesens wahrt. Die Treuepflicht bezweckt, die Funktionstüchtigkeit der öffentlichen Verwaltung zu sichern, indem das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Staat nicht untergraben wird. Beschränkungen der Meinungsäusserungsfreiheit gestützt auf die Treuepflicht sind nur zulässig, soweit sie sachlich begründet sind und in einem vernünftigen Verhältnis zu deren Zweck stehen. Öffentliche Kritik ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch gebietet die Treuepflicht der angestellten Person, sich insbesondere in der Art und Weise eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen (E. 3.2).
Das Verwaltungsgericht prüft die der Lehrperson gemachten Vorhaltungen einzeln und kommt zum Schluss, dass die von der Schule genannten Vorfälle mehrheitlich nicht den Schluss zulassen, dass die Lehrperson in einer Weise gegen die Treuepflicht verstossen hat, die eine Kündigung rechtfertigt. Jedoch kommt das Verwaltungsgericht in Bezug auf den der Lehrperson gemachten Hauptvorwurf zum Schluss, dass dieser begründet ist und die ausgesprochene Kündigung rechtfertigt.
Der Hauptvorwurf geht dahin, dass die Lehrperson an einer Kundgebung im Umfeld von Massnahmengegnern teilnahm und als Redner auftrat, wobei die Veranstaltung im Vorfeld mit Flyern beworben wurde, und die Lehrperson darauf namentlich in ihrer Funktion als Lehrperson an der kantonalen Schule aufgeführt wurde. Anlässlich seiner Rede habe er Bundesrat Berset als arrogant und krank bezeichnet. Zudem habe er Ausführungen dahingehend gemacht, dass er Personen, die sich nicht an die Massnahmen hielten, gelobt habe. Die Teilnehmenden und sich selbst bezeichnete er als «die wahre und einzige Taskforce». Zudem habe er die Teilnehmer der Veranstaltung aufgefordert, sich zu umarmen. Das Verwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass die Ausdrucksweise und der Inhalt der Rede des Klägers die gebotene Sachlichkeit und Zurückhaltung vermissen liessen. Seine Ausführungen seien nicht auf einen objektiv geführten Diskurs ausgerichtet gewesen. Er sei auch nicht davor zurückgeschreckt, ein amtierendes Mitglied des Bundesrates zu verunglimpfen und Personen, die gegen die damals geltenden Vorschriften verstiessen, als Vorbilder darzustellen. Laut Verwaltungsgericht musste angesichts der Aussagen der Lehrperson ernsthaft bezweifelt werden, ob er den Schülerinnen und Schülern die Achtung vor der geltenden Rechtsordnung zu vermitteln in der Lage ist, was aber zu den unabdingbaren erzieherischen Aufgaben einer jeden Lehrperson gehört. Den Einwand der Lehrperson, dass er als Privatperson an der Veranstaltung teilgenommen habe, wertet das Verwaltungsgericht als unglaubwürdig, weil er selber mit der Rolle als Lehrperson in der Öffentlichkeit gespielt habe.
In Würdigung der Teilnahme der Lehrperson an der besagten Veranstaltung kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass darin eine Verletzung der Treuepflicht liegt. Eine Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit liegt demgegenüber nicht vor. Die entsprechende Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit erweist sich als rechtmässig.
3. Fazit
Das Verwaltungsgericht zeigt in seinem Urteil die Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit von Personen im öffentlichen Dienst auf. Angestellte im öffentlichen Dienst haben eine stärkere Einschränkung ihrer Meinungsäusserungsfreiheit hinzunehmen als andere Bürger, und zwar auch im ausserdienstlichen Bereich. Von ihnen wird insbesondere erwartet, dass sie sich sachlich und mit der gebotenen Zurückhaltung in den öffentlichen Diskurs einbringen. Sie haben darüber hinaus den Anschein zu vermeiden, dass sie sich in ihrer Funktion als öffentlich-rechtliche Angestellte äussern. Von Veranstaltungen, an denen zu Gewalt oder anderweitigem Rechtsbruch aufgerufen wird, haben sie sich generell fernzuhalten.
An Lehrpersonen werden mitunter die höchsten Ansprüche an die Treuepflicht gestellt, weil sie einen Erziehungsauftrag und eine Vorbildfunktion wahrzunehmen haben. Sie müssen den Schülerinnen und Schülern die Achtung vor der geltenden Rechtsordnung vermitteln. Darauf haben die Schulbehörden auch und gerade hinsichtlich Aktionen von Schülerinnen und Schülern im Zusammenhang mit dem «Klimastreik» zu achten.