Das Bundesgericht ändert seine Praxis
betreffend die Eintragung von Ablagerungsstandorten im Kataster der belasteten Standorte
von Alexander Rey
Das Bundesgericht hat im Entscheid 1C_556/2020 vom 25. November 2021 seine Praxis zur Abgrenzung des Begriffs der Ablagerung im Zusammenhang mit dem Eintrag in den Kataster der belasteten Standorte präzisiert.
Zur Diskussion standen Belastungen verschiedener Art auf einem Grundstück, die erst im Rahmen eines Bauvorhabens aufgefunden wurden. Neben 132 m3 Material des Typs E gemäss VVEA (erhöhte Gehalte an Kohlenwasserstoffen C10 – 40) wurden knapp 12’000 m3 Material ausgehoben und auf Deponien Typ B abgelagert. Dieses Material war teilweise schwach verschmutzt (Anhang 3 Ziff. 2 VVEA; sog. T-Material) und teilweise wenig verschmutzt (gemäss Anhang 3 Ziff. 3 VVEA).
Das Bundesgericht hält insbesondere gestützt auf den im Jahr 2020 revidierten Art. 19 Abs. 2 VVEA fest, dass gemäss heutiger Rechtslage Auffüllungen mit unverschmutzten und schwach verschmutztem Material (gemäss Anhang 3 Ziff. 2 VVEA) grundsätzlich zulässig seien. Werde für Auffüllungen derartiges Material genutzt, handle es sich nicht um einen Ablagerungsstandort, weshalb auch kein Eintrag im Kataster der belasteten Standorte vorzunehmen sei. Anders verhalte es sich dagegen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Auffüllungen stärker verschmutztes Material enthielten, denn Letzteres unterliege gemäss Art. 19 Abs. 3 VVEA einem grundsätzlichen Verwertungsverbot. Diesfalls liege keine umweltverträgliche Verwertung im Sinne von Art. 30 Abs. 2 und 3 USG vor, mit der Folge, dass es sich um einen Ablagerungsstandort im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV handle. Dies habe grundsätzlich (ausser in Bagatellfällen [vgl. dazu die Urteile 1C_714/2021, E. 6 bzw. 1C_712/2021, E. 6]) einen Eintrag im Kataster der belasteten Standorte zur Folge.
Somit ist festzuhalten, dass trotz Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV, der ausdrücklich nur Ablagerungsstandorte vom Katastereintrag ausnimmt, die ausschliesslich unverschmutztes Aushub-, Ausbruch- oder Abbaumaterial enthalten, auch Auffüllungen mit schwach belastetem Material (T-Material) als Verwertungen zu qualifizieren sind und demnach keinen altlastenrechtlichen Ablagerungsstandort begründen. Auch die bereits in der Vollzugshilfe Altlastenkataster des BAFU genannten kleineren Hinterfüllungen (z.B. von Einfamilienhäusern) könnten als Bagatellfälle vom Katastereintrag ausgenommen werden, sofern das Gefährdungspotential gering ist (z.B. B-Material, das chemisch nur schwach belastet ist, aber mehr als 5 Gewichtsprozente Bauschutt enthält). Bestehe dagegen der Verdacht – oder steht aufgrund von Untersuchungen bereits fest –, dass grossvolumige Auffüllungen mit mehr als schwach verschmutztem Material vorgenommen worden sind, kann kein Bagatellfall mehr angenommen werden. Dies gilt insbesondere für grössere Bauschuttablagerungen. Gleiches gilt für kleinere Auffüllungen mit stark belastetem Material (z.B. E-Material).
Hingegen kommt es nicht darauf an, ob bei der Ablagerung die Verwertungsabsicht (als Baustoff) oder die Entsorgungsabsicht im Vordergrund gestanden ist, zumal sich dies ohnehin in der Regel nicht mehr klären lässt.
Diese Präzisierung der Rechtsprechung steht im Widerspruch zur Praxis von vielen Kantonen. Es dürfte hunderte von Standorten geben, die lediglich schwach belastetes Material enthalten, insbesondere Material, das zwischen 1 und 5 Gewichtsprozente Bauschutt aufweist, die in kantonalen Katastern der belasteten Standorte eingetragen sind. Gestützt auf den dargestellten Bundesgerichtsentscheid dürfte es den Eigentümern dieser Standorte nun möglich sein, den Austrag aus dem Kataster der belasteten Standorte zu verlangen. Zudem dürften Sie Anspruch auf Ersatz der dannzumals getätigten Untersuchungskosten (Art. 32d Abs. 5 USG) haben.
Ob das im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sinnvoll ist, muss sich weisen. Immerhin anerkennt das Bundesgericht, dass der Kataster der belasteten Standorte auch dazu dient, Käufer, Bauherren und Behörden auf die im Untergrund vorhandenen Schadstoffe aufmerksam zu machen, um bei baulichen Massnahmen die notwendigen Vorkehren zur sicheren Behandlung und Entsorgung zu treffen. Werden nun Standorte, auf denen schwach verschmutztes Material abgelagert ist, aus dem Kataster ausgetragen, entfällt diese Information und es ist beim Kauf von Grundstücken in Zukunft vermehrt mit entsprechenden Belastungen zu rechnen, die sich nicht mehr aus dem Kataster ergeben.
In rechtlicher Hinsicht ist der Entscheid nach der Anpassung von Art. 19 Abs. 2 VVEA zwar nachvollziehbar, doch es hätte sich meines Erachtens eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Widerspruch dieser Bestimmung zu Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV aufgedrängt, wonach vom Katastereintrag nur Abfallablagerungsstandorte befreit sind, auf denen ausschliesslich unverschmutztes Material abgelagert wird. Im Sinne einer kongruenten Rechtsordnung hätte daher zusammen mit der Revision von Art. 19 Abs. 2 VVEA auch Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV geändert werden müssen. Die Praxisänderung des Bundesgerichts war auch nicht zwingend, sieht doch Art. 19 Abs. 2 lit. d VVEA nach der Revision 2020 zwar nicht mehr vor, dass schwach verschmutztes Material bei Tiefbauarbeiten am Ort, an dem das Material anfällt, nur dann verwendet werden darf, wenn ein Katastereintrag vorliegt, doch noch immer darf nur leicht verschmutztes Material (wieder) eingebaut werden, das vor Ort anfällt. Das Verbringen und Einbauen von leicht verschmutztem Material aus einem anderen Ort ist nach wie vor unzulässig. Man hätte sich deshalb gewünscht, dass das Bundesgericht geprüft hätte, ob die Voraussetzungen für eine Praxisänderung (vgl. etwa BGE 141 II 297) tatsächlich vorliegen.
Nach dem Entscheid des Bundesgerichts besteht ein offenkundiger Widerspruch zum Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV. Zudem findet der Begriff des unverschmutzten Aushubs auch in anderen Gesetzen Anwendung (vgl. etwa Art. 37 Abs. 1bbis GSchG). Bedeutet die geänderte Rechtsprechung nun, dass auch Deponien mit schwach verschmutztem Material unter diese Bestimmung fallen? Es werden sich also diverse neue Fragen in der Folge des Bundesgerichtsentscheids vom 25. November 2021 stellen und die Kantone werden sich Gedanken machen müssen, wie sie mit den Standorten umgehen wollen, welche heute im Kataster der belasteten Standorte eingetragen sind, aber gestützt auf die geänderte bundesgerichtliche Rechtsprechung darin nichts mehr verloren haben.